Der zum Wohnmobil ausgebaute Mercedes 811 ist gepackt und ab geht es, wie fast immer bei mir, Richtung Norden. Das Mühlviertel, in welchem es genau eine einzige evangelische Kirche, nämlich die meiner Pfarrgemeinde – Gallneukirchen - gibt, wird Richtung Passau verlassen. Bayern ist bekanntlich sehr katholisch. Doch schon bald kommen wir nach Thüringen. 2017 wurde hier zum Jubiläum 500 Jahre Reformation ein Pilgerzentrum errichtet. Die zahlreichen Museen, von denen in fast jeder Ortschaft eines steht, wirken verwaist, ganz wenige Gäste kommen noch hierher. Die Wartburg hingegen ist gut besucht. In der Kapelle ist festzustellen, dass alles auf das Verbindende zwischen den Konfessionen gesetzt wird, denn hier im Osten Deutschlands, der Wiege der Reformation, sind die Christen in der Minderheit.
In Dresden thront vor der wiederaufgebauten Frauenkirche eine übergroße Lutherstatue. Generell stehen in dieser Gegend Lutherdevotionalien hoch im Kurs, vom Lineal über Tassen bis hin zu Büchern. Im Berliner Dom habe ich das Gefühl mich permanent vergewissern zu müssen, dass dieses Gebäude eine evangelische Kirche ist. Vom Prunk her gesehen, für meine Vorstellungen sehr untypisch. Ich kann weder Weihwasser noch Beichtstühle oder Tabernakel finden, also stehe ich wirklich in einer evangelischen Kirche.
Jetzt setze ich über nach Schweden. Bis im Jahr 2000 war die Swenska Kyrkan Staatskriche, und zwar seit 1527. König Gustav Erikson lies sich anstelle des Papstes zum Oberhaupt der Kirche krönen, so konnte er sich den ganzen Besitz der Kirche zueigen machen. Heute wird in Schweden Religion als Privatsache gesehen. Knapp über die Hälfte der Schweden gehören noch dieser Kirche an, wobei es auch viele andere protestantische Gruppierungen, wie zum Beispiel die Deutsche Lutherische Gemeinde St. Gertruds in Stockholm, gibt. Dafür steht jede, auch noch so kleine Kirche auf Wegweisern angeschrieben. Sie haben sogar eine eigene Abkürzung: k:a, das bedeutet Kyrka. Meist sind dies kleine weiße Gebäude aus Holz mit Turm, umgeben von einem weiß eingezäunten Friedhof, im Süden Schwedens stehen oftmals gemauerte Kirchengebäude.
Im Gespräch mit schwedischen Eltern eines 13 jährigen Kindes frage ich nach, wie das so mit Religionsunterricht, Kirche und religiösen Themen ist. Ich merke, dass diese Frage auf äußerste Zurückhaltung stößt, denn das ist, so offen die Schweden mir sonst begegnen, eine wirklich sehr private Sache. Erst als ich mich als evangelische Religionslehrkraft oute erfahre ich, dass gerade dieses hinausdrängen des Evangelischseins in das ganz Private so seine Tücken hat. Ein Beispiel: Sie wollten wissen ob das mit der Konfirmation bei uns in Österreich noch üblich ist. Ihr Kind ist so unsicher, weil nicht einmal bekannt ist, wer in der Klasse evangelisch ist und ob sich jemand konfirmieren lässt. Sie hoffen, dass durch ein befreundetes Flüchtlingskind, dass zum Christentum konvertiert ist und mit seinem Glauben offen umgeht, die Entscheidung zugunsten der Konfirmation fällt. Sie als Eltern fänden diesen bewussten Schritt wichtig.
Wir fahren ein ganz kleines Stück über Finnland. Rovaniemi ist eine Stadt am Polarkreis, aus welcher angeblich der Weihnachtsmann kommt. Hier, im Weihnachtsdorf, ist das ganze Jahr Weihnachten. Weihnachtskarten können in einem speziellen, erst im Dezember bearbeiteten Postkasten abgesendet werden. Ich finde Rentiere, Trolle, Wichtel, vergeblich suche ich aber nach irgendwelchen Hinweisen auf das Christuskind. Dafür kann ich einkaufen. Weihnachtskugeln, Weihnachtsgeschirr, Rentierfelle, Allerlei mit Mumins, Rentierwurst, Elchwurst, Weihnachtspapier, die übliche Souveniershopware und so weiter. An drei Stellen könnte ich sogar ein Foto mit dem Weihnachtsmann oder der Weihnachtsfrau machen. Ich kann hier direkt auf dem Polarkreis stehen und höre dabei mitten im Sommer die Melodie von Stille Nacht. Schon seit Tagen wird es nicht mehr finster, die Sonne ist derzeit ein paar Kilometer nördlich von hier rund um die Uhr zu sehen. Irgendwo im Nirgendwo geht es über die EU Außengrenze nach Norwegen. Wir haben unseren Wein so dezimiert, dass wir die Freimengen einhalten und auch die Erdäpfel, deren Einfuhr verboten ist, aufgegessen. Abgesehen davon, dass die Leitlinien auf der Straße von weiß auf gelb wechseln und ein paar Schilder zu sehen sind, ist keine Grenze da.
Die Landschaft generell ist atemberaubend und so abwechslungsreich. Ganz besonders bewundere ich, wie die Vegetation sich an alle Begebenheiten anpasst. Am liebsten fahren wir in den Abendstunden, immer mit Sonnenunter/aufgangstimmung. Die Bedeutung des Kanons vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang empfinde ich hier, bei Mitternachtssonne, ganz anders als in Österreich, er wirkt so richtig allumfassend. Gott Sei Dank ist das Wetter meistens sehr schön.
Auch hier in Norwegen gibt es mit „Kirke“ ein Hinweisschild zu jeder (evangelischen) Kirche. In Alta wird die moderne Kirche sehr touristisch vermarktet, allerdings gibt’s am Sonntag um 11:00 Worship. Ich entdecke erstmals eine katholische St. Josefs Kirche. Was auch auffällt, in Nordnorwegen ist im Gegensatz zu Schweden, wo die Geschäfte „all dagar“ offen haben, am Sonntag praktisch alles geschlossen.
Direkt am Nordkapp ist in den unteriridschen Räumlichkeiten eine kleine Kapelle, welche zum Beispiel für kleine Hochzeiten genützt wird. Sie bietet aber auch den Raum, einfach einmal Ruhe zum Gebet zu finden.
Richtung Süden fahren wir über die Lofoten und den Kystriksveien. Am Kytriksveien befindet sich das Petter Dass Museet. Dieses Museum bildet die Geschichte der Christianisierung Norwegens ab. Bis jetzt wusste ich nicht, dass gerade 1000 Jahre seit der ersten christlichen Gesetzesordnung vergangen sind. Petter Dass selbst war ein evangelischer Pfarrer im 17. Jahrhundert und hat viel gedichtet um den Menschen so den Glauben näher zu bringen. Jetzt sind viele seiner Gedichte als Lieder im Norsk Salmebok. Die Kirche und das historische Pfarrhaus sind Teil des Museums. Jetzt wird mir so richtig bewusst, dass alles, was in der Zeit der Gegenreformation in Österreich von der Institution Römisch-Katholische Kirche den Menschen, die gerne den evangelischen Glauben ausgeübt hätten, angetan wurde, hier genau umgekehrt war. Katholisch sein war verboten, wer nicht danach handelte, hatte ähnliches zu erwarten, wie die Protestanten in Österreich. Auch die Sami durften ihre ursprüngliche Religion nicht ausüben. Ebenfalls wurde erst 1851 das Verbot des Zutritts auf Norwegisches Land für Juden aus der Verfassung gestrichen. Die Herrschenden nutzten die Religion genau so zum eigenen Machterhalt, wie überall anders auch. Nach dem Besuch des Museums und der Kirche, die übrigens noch ganz normal genützt wird, gehe ich, wie schon öfter auf dieser Reise, auf den Friedhof. Von der österreichischen Grabkultur ist hier wenig zu bemerken. Eigentlich scheint jeder Friedhof gleich zu sein. Eine große grüne Wiese auf der Grabsteine stehen. Rundherum ein niedriger weiß gestrichener Zaun, der meist ein weithin sichtbares Rechteck bildet. Bei vielen Grabsteinen ist ein ganz kleines Blumenbeet, sehr oft mit Margeriten. Die Grabsteine vieler Jahrhunderte stehen gemischt. Nach einem alten und neuen Teil suche ich vergeblich. Ganz selten ist bei neuen Gräbern eine Kerze zu sehen. Dafür findet sich fast immer eine Bank, die zum Verweilen und zum Nachdenken über Gott und die Welt einlädt.
Wenn man ein alte Kirche besucht, ist an der Kirchenkunst zu erkennen, dass eine Abgrenzung zum Katholizismus wie bei uns hier nie erfolgt ist, sondern einfach dass, was vorher schon da war, übernommen wurde. Auf der weiteren Reise in Richtung Süden bestätigt sich vieles, was bei der Nordreise zu entdecken war.
Österreich ist derzeit 1000 km und zwei Reisetage von mir entfernt, ein bisschen Wehmut und das Gefühl von „Heute hier, morgen dort“ schleicht sich bei mir ein. Aber in etwas mehr als einer Woche erwartet mich mit meiner Freizeit auf Burg Finstergrün das nächste Abenteuer, auch ein evangelisch Reisen.