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Predigt


15. Dezember 2025

Dieses Mal gibt es im JG-Blog, der bekanntermaßen genre-mässig recht vielfältig ist, eine kleine Predigt. Darf auch mal sein. 😊

Sie wurde am 6.12.2025 im Linzer Dom bei der ökumenischen und internationalen Friedenslichtfeier der Pfadfinder:innen auf Englisch gehalten.

Mehr Infos hierzu findet ihr unter: ppoe.at/international/unsere-projekte-programme/friedenslicht/

Habt einen feinen Advent und euch allen gesegnete Festtage!

Predigt Jeremia 29,1-11, Linzer Dom, Friedenslichtfeier 2025

11 Denn ich weiß wohl,
was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides,
dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.
12 Und ihr werdet mich anrufen
und hingehen und mich bitten,
und ich will euch erhören.
13 Ihr werdet mich suchen und finden;
denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,

14a so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr.
Liebe Pfadfinder und Pfadfinderinnen, Gäste und Gottesdienstbesucher:innen

hier im Linzer Dom und daheim,

Frieden fängt vor Ort an. Frieden fängt im eigenen Herzen an.

Das sind Sätze, ja Hashtags, die man immer mal wieder hört und liest.

Ich vermute, dass jede und jeder von euch hier diesen beiden Sätzen zustimmen kann: Frieden fängt vor Ort an. Frieden fängt im eigenen Herzen an.

– Ja, ich sehe einige nicken.

Aber das in der Praxis wahr werden zu lassen, da ist es mit einem Nicken leider nicht getan.

Wie schwer das fällt, merke ich immer wieder, wenn ich mein Email-Postfach aufmache oder so manchen Post auf Social Media, einfach nur unter den Nachrichten von ZIB zum Beispiel, lese. Aber auch jegliche Trennung von Influencer- oder anderen Promipäärchen löst anscheinend folgendes aus:

Sofort gibt es zwei Lager und diese schreien sich nieder, meinen zu wissen, warum sich Person A von Person B getrennt haben könnte und wer sowieso schuld an dem ganzen Trennungsdrama ist.

Und bei ZIB in der Kommentarspalte ist auch – je nach Weltanschauuung - immer ganz klar, dass Partei A oder Partei B das alles vermasselt hat. Und dann gibt es noch die, die einfach „die da oben“ für das Problem halten. „Die, da oben“- keine Menschen, keine Einzelpersonen, sondern eine gesichtslose und körperlose Masse, auf die man gut wütend sein kann.

Und dann komme ich wieder zu meinem Emailpostfach zurück. Dort finden sich häufig wunderbare und interessante Mails, wie zum Beispiel die Anfrage zur Beteiligung an der Friedenslichtfeier. Eine Veranstaltung, auf die ich sonst – ohne Lisa von den Pfadis – nicht aufmerksam geworden wäre. Danke nochmals für die Anfrage und diese tolle Feier, die ich nun schon zum dritten Mal erleben darf und die in sich eine Hoffnungsbild für den Frieden ist, weil so viele Pfadis aus aller Welt zusammenkommen, um miteinander zu beten, zu feiern und das Friedenslicht in ihre Heimatländer und -Regionen zu tragen. Das berührt mich jedes Mal aufs Neue.

Aber zuweilen finden sich auch ziemlich anstrengende Mails in meinem Postfach. Mails darüber, was wir auf Bundesebene bei der Evangelischen Jugend Österreich doch alles wieder übersehen, nicht bedacht, boshaft oder inkompetent vermasselt haben sollen. Und solche Mails – das gebe ich zu - lassen mich nicht kalt. Je nach Tonfall wecken sie niedere Instinkte der Rache in mir. Und am liebsten würde ich dann in die Tastatur hauen, was ich wirklich von dem Schreiber/der Schreiberin einer solchen Mail halte und wie wenig diese Person das Gesamtbild im Blick hat - richtig schön vorführen und auf die eigenen blinden Flecken hinweisen, würde ich das Gegenüber dann.

Hmmm... so fängt Frieden sicherlich nicht an. Klar, man könnte argumentieren: Lieber ein Mal ein ehrlicher Streit, als scheinheilige Freundlichkeit. Also doch einfach drauf losschreiben, was ich wirklich in dem Moment denke?

Wohl lieber nicht. Denn es ist ja auch nur das, was ich im ersten Moment denke und wenn ich immer gleich das Erste tue, was ich denke - nur, um mein Gemüt zu kühlen, dann wird es ziemlich schnell sehr anstrengend um mich herum.

Wir sollten uns daher vielleicht lieber an den Satz von Kant erinnern: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen und wieder mehr Platz in Herz und Hirn fürs Denken frei machen.

Ja, jetzt werden einige sagen: Oje, noch mehr denken. Puh, was für eine Anspruchshaltung. Ich denke doch eh schon so viel und komme manchmal nicht einmal nachts mehr zur Ruhe. Und euch sei zugerufen: Es geht mir beim Denken nicht darum, mehr Platz für Ratio zu machen – die meisten von uns sind eh sogenannte Overthinker und bräuchten diesbezüglich eher mal eine Pause von sich selbst.

Nein, es geht mir mit David Foster Wallace, einem amerikanischen Buchautor darum, sich willentlich und somit denkend dafür zu entscheiden, über andere Menschen nachzudenken, ihren Gedanken und Gefühlen Raum zu geben.

Er hat als Tipp für das Leben eines mitfühlenden, in Kirchensprech: barmherzigen Lifestyles gesagt – und ich verkürze hier stark, was er wirklich unterhaltsam ausgeführt hat:

Manchmal stehe ich im Stau oder in überfüllten Supermarktgängen oder in einer endlosen Kassenschlange – und ich merke: Wenn ich nicht bewusst entscheide, wie ich denken will, werde ich automatisch wütend und genervt. Meine innere Standardeinstellung sagt mir dann: „Das hier dreht sich alles um mich. Um meinen Hunger, meine Müdigkeit, meinen Stress.“ Und plötzlich wirkt es so, als wären alle anderen nur in meinem Weg.

Dabei gibt es immer eine andere Perspektive. Vielleicht fährt der Mensch im großen SUV vor mir auf dem Supermarktparkplatz, der meines Erachtens nicht parken kann und gleich zwei Parkplätze auf einmal blockiert und jetzt auch noch tölpelhaft ausparkt und meine Zeit raubt, so vorsichtig, weil er einst einen schweren Unfall hatte und einen Schutzpanzer aus Blech braucht, um sich überhaupt noch in den Straßenverkehr zu wagen. Vielleicht drängelt der Fahrer im 12Zylinder Pickup, den ich für die Großstadt für furchtbar ressourcenfressend und überdimensioniert halte, weil sein Kind krank ist und er dringend ins Krankenhaus muss. Vielleicht ist die überforderte Frau vor mir an der Kasse, die ihr Kind anschreit, seit Tagen wach, weil sie einen kranken Angehörigen pflegt. Wir wissen es nicht.

Und genau darum geht es:
Wir haben eine Wahl. Nicht immer, selten eindeutig. Aber oft genug, um anders hinzuschauen.

All das soeben Beschriebene muss nicht so sein, aber es könnte so sein.

Demnach mit Wallace gesprochen:

Wenn ich nur in meiner automatischen Standardeinstellung bleibe – im Gefühl, Mittelpunkt der Welt zu sein – sehe ich nur Hindernisse und Genervtheit. Doch wenn ich mir bewusst mache, dass alle anderen Menschen ihre eigenen Kämpfe, Sorgen und Geschichten tragen, dann verändert sich etwas. Nicht die Welt an sich, aber mein Blick auf sie.

Und darum geht es meines Erachtens, wenn wir sagen: Frieden fängt vor Ort an.
Die Entscheidung, die Welt nicht nur durch die Linse meiner eigenen Bedürfnisse zu sehen, sondern mit einem offenen, mitfühlenden Herzen.

Wenn wir den anderen Menschen Zukunft zugestehen und die Sehnsucht nach Hoffnung, dann gestehen wir es uns selbst auch zu und so kann Frieden beginnen.

Gott hat uns diese Fähigkeit gegeben, davon spricht Jeremia im 29. Kapitel, welches heute die Lesung war. Es ist ein Brief Jeremias.

Jeremia schreibt das an die Menschen aus dem Volk Israel, die ihre Heimat verloren und die ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden. Er schreibt das an die nach Babylon Deportierten, die verschleppt worden waren aus ihrem Heimatland und sich nun in der Fremde neu sortieren mussten.

Jeremia hatte all das kommen sehen und auch mehrfach davor gewarnt. Er hatte die Außen- und die Sozialpolitik seines Landes scharf kritisiert, aber war dafür größtenteils ausgelacht worden – auch von denen, denen er jetzt diesen liebevollen Brief schreibt. Er schreibt kein Wort der Häme oder des „Habe ich doch gleich gesagt, hättet ihr mal auf mich gehört. Ihr hattet niemals das Gesamtbild im Blick.“ Er schreibt Worte des Trostes und der Hoffnung; und zugleich macht er mehr als nur trösten und beruhigen. Er zeigt seinen Kritiker:innen, dass sie auch in der Ferne, auch in der Fremde eine Wahl haben. Sie können nun die sie umgebene Bevölkerung ablehnen und verteufeln und sich allem verweigern oder sie denken an ihre Kinder und Kindeskinder, bemühen sich, auch in der Fremde Wurzeln zu schlagen, sich zu integrieren, ohne ihre Kultur und das, was sie als Volk ausmacht, aufzugeben. Sie haben die Wahl und könnten sich mit den Menschen vor Ort in Babylonien gemeinsam für das Wohl und Wehe ihres jetzigen Wohnortes einsetzen.

Das ist ganz schön viel verlangt, aber diesen Großmut, diese Liebe traut Gott, traut auch Jeremia den Deportierten zu. Es ist eine Zumutung, keine Frage, und doch auch ein riesiger Vertrauensbeweis.

Daher findet sich in diesem Kapitel auch das berühmte Bonmot, das Christ:innen und Jüd:innen weltweit bis heute inspiriert, sich aktiv in ihre Community vor Ort einzubringen und für die Menschen dort da zu sein.

„Suchet der Stadt Bestes“ heißt es in Vers 7.

Betet für die euch fremde Stadt und schaut, dass es ihr und ihren Bewohner:innen gut geht. Lebt nicht in Ablehnung, sondern in aktiver Beteiligung. Dann werdet ihr in Frieden leben, so ruft Jeremia seinem Volk im Exil im Namen Gottes zu.

Gott traute das damals dem Volk Israel zu, dass es trotz Kriegserfahrung und sicherlich auch einiger Traumata und Enttäuschungen zum Frieden im Herzen zurückfinden würde und Gott traut das jedem und jeder von uns auch heute noch zu – nach jedem Streit aufs Neue.

Frieden für alle Menschen – nah und fern - das können wir gemeinsam schaffen. Lasst es uns angehen.

Amen. Friede sei mit euch.

 

 

 

English Version

Dear Scouts, guests, and worshippers here in Linz Cathedral and at home,

Peace begins locally. Peace begins in one’s own heart.
These are sentences—yes, hashtags—that we hear and read again and again.

I assume that each of you here can agree with these two statements: Peace begins locally. Peace begins in one’s own heart.

– Yeah, I see some of you nodding.

But making this become reality ... sadly, a nod is not enough.

I notice how hard that is whenever I open my email inbox or read certain posts on social media—simply under the ZIB news posts, for example. And every time an influencer or celebrity couple breaks up, it seems to trigger the same thing:
Immediately two camps form and shout each other down, claiming to know why Person A separated from Person B and who is obviously to blame for the whole drama.
And in the ZIB comment sections it’s also—depending on worldview— completely clear whether Party A or Party B messed everything up. And then there are those who simply blame “those up there.” “Those up there”—not people, not individuals, but a faceless, bodiless mass at which one can easily direct anger.

And then I return to my email inbox again. There I often find wonderful and interesting emails—like the invitation to take part in the Peace Light celebration. An event I would not have known about without Lisa from the Scouts. Thank you again for the invitation and for this wonderful celebration, which I now get to experience for the third time—an image of hope for peace in itself, because so many Scouts from all over the world come together to pray, celebrate, and carry the Peace Light into their home countries and regions. It moves me every time.

But at times I also find rather exhausting emails in my inbox. Emails about all the things we at the national level of the Protestant Youth of Austria have supposedly overlooked, forgotten, botched out of malice or incompetence.

And such emails—I admit it—do not leave me cold. Depending on the tone, they awaken low instincts of revenge in me. And I would love to bang on the keyboard and write what I truly think of the sender—and how little that person sees the bigger picture. I would love to call them out and point directly at their blind spots.

Hmm... that is certainly not how peace begins.
Sure, one might argue: Better an honest argument once than phony friendliness. So should I just go ahead and write what I really think in that moment?

Probably not. Because it is only what I think in the first moment—and if I always immediately act on my first impulse, just to cool my nerves, things would become quite exhausting around me rather quickly.

So perhaps we should remember Kant’s line: Have the courage to use your own understanding—and create more space in heart and mind for thinking.

Now some will say: Oh dear, even more thinking. What an expectation. I already think so much, and sometimes I can’t even sleep at night.

And to you I want to say: I do not mean making more room for rationality— most of us are overthinkers anyway and could use a break from ourselves.

No, with David Foster Wallace, an American author, I mean choosing— willingly and consciously—to think about other people, to give space to their thoughts and feelings.

He gave this tip for living a compassionate - in church language: merciful— lifestyle. And I’m condensing now quite heavily what he explained very entertainingly:

Sometimes I am stuck in traffic or in crowded supermarket aisles or in an endless checkout line—and I notice: if I don’t consciously decide how I want to think, I will automatically become angry and annoyed. My inner default setting tells me: “This is all about me. My hunger, my tiredness, my stress.” And suddenly it feels as if everyone else is just in my way.

Yet there is always another perspective.
Maybe the person in the huge SUV in front of me in the parking lot—who in my view can’t park and is blocking two spaces and is now clumsily backing out and stealing my time—is driving so cautiously because they once had a serious accident and need a metal shell for protection just to dare re-enter traffic.

Maybe the driver in the 12-cylinder pickup—whom I find horribly resource- wasting and oversized for a big city—is pushing ahead because their child is sick and they urgently need to get to the hospital.
Maybe the overwhelmed woman at the checkout, yelling at her child, has been awake for days because she is caring for a sick relative.
We do not know.

And that is exactly the point:
We have a choice. Not always, rarely clearly. But often enough, to look differently.

What I just described doesn’t have to be true, but it could be true.

So, with Wallace:
If I remain only in my automatic default setting—the feeling of being the center of the world—I see only obstacles and annoyance. But if I become aware that all other people carry their own struggles, worries, and stories, then something changes. Not the world itself, but my view of it.

And that, in my opinion, is what we mean when we say: Peace begins locally. It is the decision not to view the world solely through the lens of my own needs, but with an open, compassionate heart.

If we grant other people a future and a longing for hope, we grant it to ourselves as well—and that is how peace can begin.

God has given us this ability; Jeremiah speaks of it in chapter 29, which was today’s reading. It is a letter from Jeremiah.

Jeremiah writes this to the people of Israel who had lost their homeland and had been robbed of their livelihood. He writes it to those deported to Babylon, who had been torn from their land and now had to reorient themselves in a foreign place.

Jeremiah had seen all this coming and had warned of it many times. He had sharply criticized the foreign and domestic policy of his country, but was mostly laughed at—even by those to whom he now writes this loving letter. He writes no word of gloating or: “I told you so; you should have listened. You never saw the big picture.”

He writes words of comfort and hope; and at the same time he does more

 

than comfort and soothe. He shows his critics that even far away, even in exile, they still have a choice. They could reject and demonize the local population and withdraw completely—or they could think of their children and grandchildren, try to put down roots in this foreign place, integrate without giving up their culture and identity as a people. They could choose to work together with the people in Babylon for the well-being of their new place of living.

That is a tall order—but this generosity, this love, God—and Jeremiah— trusted the deported people to have. It is a demanding challenge, no question, and yet also a tremendous sign of trust.

That is why this chapter contains the famous phrase that still inspires Christians and Jews worldwide today to become actively involved in their communities and care for the people around them:
“Seek the welfare of the city”—chapter 29, verse 7.

Pray for the city that is foreign to you and seek the good of it and its inhabitants. Do not live in rejection but in active participation. Then you will live in peace - Jeremiah calls out to his people in exile in the name of God.

God trusted the people of Israel back then—that despite war, trauma, and disappointment they could return to peace in their hearts. And God trusts each and every one of us with that today—after every argument, again and again.

Peace for all people—near and far—is something we can create together. Let’s begin.

Amen. Peace be with you.

 

 

Bettina, Jugendpfarrerin für Österreich